Diskurs und Geschlecht

Der Begriff „Diskurs“ wird sehr unterschiedlich verwendet. Mehr oder weniger gemeinsam ist den verschiedenen Definitionen, dass es sich um Kommunikationsordnungen handelt, die Form und Inhalt von Äußerungen in bestimmten Bereichen bzw. zu bestimmten gesellschaftlichen Aspekten festlegen. Dementsprechend unterscheidet man Herrschaftsdiskurse, wissenschaftliche Diskurse, politische Diskurse, Geschlechterdiskurse etc. Die Diskurse sind historisch geformt und veränderbar und zeigen, was von einer Gemeinschaft als wahr, vernünftig oder normal angesehen wird. Gleichzeitig drücken Diskurse aus, was in welcher Form nicht akzeptiert oder ausgeblendet wird. Diskurse sind also Ergebnisse von Machtwirkungen und Machtkämpfen. So spricht man von hegemonialen Diskursen, die sich in einer Gesellschaft durchgesetzt haben und die Normen und Werte bestimmen, und man spricht von Gegendiskursen, in denen versucht wird diese Hegemonie (Vorherrschaft) zu brechen. Im Geschlechterdiskurs wird festgelegt, was und wie Geschlecht bzw. Gender ausverhandelt wird. Er fixiert, auf welche Weise Vorstellungen von Zwei- oder Mehrgeschlechtlichkeit, von Weiblichkeit und Männlichkeit geäußert werden. Ein Diskurs wird aber nicht „von oben“ verordnet. Auch wenn Medien, PolitikerInnen, berühmte Persönlichkeiten mehr Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse haben, gestalten ihn alle Personen einer Gesellschaft mit: Sie reproduzieren dabei die herrschenden Machtverhältnisse und Sichtweisen, stellen diese in Frage oder eröffnen andere Denk- und Handlungsmöglichkeiten.

Geschlecht und Diskurs führt zu Fragen wie:

Wie wird Gender zum Thema gemacht: an der Schule, in den Zeitungen, in Schulbüchern, von verschiedenen PolitikerInnen etc.? Was wird dabei thematisiert? In welchen Zusammenhang wird z.B. Kinderbetreuung, Schlanksein, Hygiene, Stärke, Kraft gesetzt? Inwiefern tragen diese Äußerungen (in Bild und Text) dazu bei, dass bestimmte Vorstellungen von Frau und Mann als normal angesehen werden oder nicht?

Interessant beim diskursanalytischen Blick ist, dass auch das untersucht werden kann, was aus dem Diskurs ausgeschlossen ist. Die Frage ist, was nicht zum Thema gemacht wird, was auf eine bestimmte Weise nicht ausgedrückt wird oder was nur bei Frauen oder Männern, Buben oder Mädchen zum Thema gemacht wird. Wo etwa finden sich Äußerungen zu Transgender und „queer“ und wo nicht?

Da sich Diskurse wandeln und in verschiedenen Kulturen anders sein können, kann gefragt werden, wie der Geschlechterdiskurs zu anderen Zeiten oder an anderen Orten geregelt ist. Z.B.: Wie haben die Leute am Land/in der Stadt vor 50/100 Jahren über Weiblichkeit, Männlichkeit, Homosexualität, Transgender, Gleichstellung, Haushalt etc. gesprochen? Worüber haben sie nicht gesprochen? Gibt es Unterschiede zwischen dem Geschlechterdiskurs, wie er von Jugendlichen geführt wird und jenem der Erwachsenen? Z.B. SchülerInnen, LehrerInnen, Töchter/Söhne, Eltern, Großeltern?

Keine gesellschaftliche Gruppe hat absolute Macht über einen bestimmten Diskurs. Es gibt viele Möglichkeiten ihn zu verändern und zu stören. Dafür müssen oft auch Tabus gebrochen werden. Wo sind Formen von Gegendiskursen erkennbar? Mit welchen Mitteln wird versucht, den Diskurs in eine bestimmte Richtung zu lenken? Gesetzliche Regelungen wie Frauenquoten, Verfremdungseffekte im Kunstbereich, Uneindeutigkeit von Geschlechterzuschreibungen in der Literatur, Subversion durch „ungewohntes“, „unmögliches“ Styling etc.

07.11.2009