Queer

„Queer“ kommt aus dem angloamerikanischen Sprachraum und ist im Englischen einerseits als erniedrigendes Schimpfwort in Gebrauch (das Wort „pervers“ hat im Deutschen ungefähr diese Bedeutung), andererseits wurde es als positive Selbstbezeichnung von Teilen der Homo-, Bi-, Trans-Bewegungen im Lauf der letzten Jahrzehnte angeeignet und theoretisiert. Queer ist in diesem Sinn bis heute keine einheitliche Theorie, sondern ein offenes politisches und theoretisches Projekt. Die Entstehung von „Queer“ als politische Bewegung und theoretische Konzeptionalisierung begann in den USA Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre. Die Auseinandersetzung mit den Kategorien Sex, Gender und Begehren standen im Vordergrund theoretischer Diskurse und queerer Praxen. Inhaltlich wurde der Diskurs einer feministischen „essentialistischen“ Position, d.h. einer biologisch festgelegten weiblichen Seinsweise, infrage gestellt. Im Zentrum queerer Denkansätze stehen Konzepte performativer Subversion und der Inszeniertheit von Geschlechtsidentität.
Queer Studies, queere Theorie, Politik und Aktionsformen etablierten sich in den 1990er Jahren, also in einer Zeit, in der die verschiedenen Bewegungen des Feminismus in eine Krise geraten waren. Sie rückten die Randpositionen einer Identitätspolitik in den Vordergrund, artikulierten mitunter eine Politik der Lust, aber auch der Wut: Queer, manchmal auch als „Regenbogenkoalition“ charakterisiert, wurde zu einer neuen Form der Bündnispolitik von sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen AußenseiterInnen. Wie besonders Judith Butler und andere Queer-TheoretikerInnen betonen, orientierte sich die Frauen, Bi-, Lesben- und Schwulenbewegung in diesen Jahren verstärkt an subversiven performativen Konzepten von Geschlechterrollen, die in neue öffentliche und politische Strategien und Aktionsformen mündeten: Regenbogenparaden, Christopher Street Day, Trauermärsche, Kiss- und Die-In’s, Dyke-March und Ladyfeste wurden im letzten Jahrzehnt zu verstärkten und internationalisierten Praktiken.

Queer führt zu Fragen wie:

Begriffe wie Queer und Gender erweitern das Zwei-Geschlechtersystem beträchtlich. Warum ist es wichtig das auf Gegensätzen beruhende System von Mann/Frau, Hetero/Homo, Inländer/Ausländer usw. infrage zu stellen?
Geschlecht tritt nie im „luftleeren“ Raum auf – Queer und Gender Studies fragen, wie sich Hierarchien quer zu Geschlecht und Sexualität verhalten. Welche Hierarchien und Machtverhältnisse bestehen zwischen hetero-, homo, trans-sexuellen Menschen? Entlang welcher Achsen verlaufen diese Hierarchien? Z.B. gesellschaftliche, religiöse, kulturelle, rassistische Positionen.

Queer-Theorie hinterfragt in einer speziellen Leseart, wie der Genderdiskurs zu anderen Zeiten oder an unterschiedlichen Orten verlaufen ist. Z.B.: Wie haben die Leute am Land/in der Stadt vor 50/100 Jahren über Weiblichkeit, Männlichkeit, Homosexualität, Transgender, Gleichstellung, Haushalt etc. gesprochen? Worüber haben sie nicht gesprochen? Wo finden sich bereits subversive Gender/queer Praktiken? Gibt es Unterschiede zwischen dem Geschlechterdiskurs, wie er von Jugendlichen geführt wird und jenem der Erwachsenen? Z.B. SchülerInnen, LehrerInnen, Töchter/Söhne, Eltern, Großeltern?

Wichtig ist auch die Frage nach Veränderlichkeit und Subversion: Hierarchien, Normen und Werte sind nicht stabil und zeitlos – wo finden sich Veränderungsprozesse althergebrachter Meinungen? Welche Strategien gibt es, solche Strukturen in Frage zu stellen (spielerisch, aktivistisch, im Theater, in queeren Interventionen etc.)? Wo können wir verschiedene aktuelle subversive performative Praktiken ausmachen?

Was ermöglicht(e) der subversive Gebrauch des Begriffs „Queer“? Würde eine positive Bedeutungsänderung auch mit dem Wort „Pervers“ im Deutschen gelingen? Warum ist z.B. die Feststellung „das ist ja schwul“ noch immer so negativ besetzt, was wären Strategien der positiven Besetzung?

Was versteht ihr unter dem Wort „Queer“ und was hat es mit den Begriffen „Gender“ und „Performance“ zu tun? Wie performt ihr euch, warum fühlt ihr euch in euren (Gender)Rollen wohl? Es gibt ja unendliche viele unterschiedliche Rollen zu entdecken und zu praktizieren? Warum folgt ihr bestimmten coolen Rolemodels, speziell in ihren spezifischen „männlichen und weiblichen“ Verhalten, Gesten etc.? Wie bedingen sie euer Handeln?

08.11.2009