Die weibliche Seite der Sprache

Kombinierter Arbeitsauftrag

Luise F. Pusch: Die weibliche Seite der Sprache

Lies den Text der bekannten Linguistin und feministischen Schriftstellerin Luise F. Pusch und untersuche, welche Themen sie behandelt, wogegen sie sich ausspricht und wofür sie sich einsetzt. Mit welchen Mitteln tut sie dies, wie weit kann sie dich überzeugen? Was ist ihr Resümee? Bewerte den Text kritisch und nimm dazu argumentierend und informierend Stellung.

Luise F. Pusch: Die weibliche Seite der Sprache.- Die DNA der Frauensprache.

(Immer Ärger über "Quotendeutsch": Doch die patriarchalisch geprägte Grammatik passt nicht mehr in die Zeit. Der Tagesspiegel Nr. 19814, 12.2.2008, S. 29)

[...] In Wahrheit hat feministische Sprachkritik immer fröhlich mit Sprache herumgespielt gegen rigide patriarchale Grammatikregeln. Ihr verdanken wir zum Beispiel Begriffe wie "herstory" (statt "his-story") und "shero" (statt "hero") oder das produktive Wortspiel "frau", wie in "Wenn frau ihr Kind stillt" – "Wenn man sein Kind stillt" fanden Frauen wenig stimmig...

[...] Das Deutsche eine Männersprache? Naive Naturen können sich das nicht vorstellen. Sie glauben noch immer, die Grammatik kenne keine Geschlechterungerechtigkeiten, sie sei vielmehr völlig neutral. Wissenschaftlich ist die Annahme, die Regeln der Sprache hätten sich unbeeinflusst von jahrtausende alten Machtstrukturen entwickelt, unhaltbar. Sprache ist kein Natur-, sondern ein historisch-gesellschaftliches Phänomen. Als solches darf sie auch kritisiert und verändert werden. Wenn Frauen bis vor etwa 50 Jahren in der Politik und allen anderen Machtzentren kaum vorkamen, so hat das in der Tiefe der Grammatik Spuren hinterlassen – die das Sprechen und Schreiben in einer geschlechtergerechter gewordenen Gesellschaft bis heute behindern.

Auffällig sind zumal die zahlreichen Personenbezeichnungen im Maskulinum, zu denen sich Feminina morphologisch ableiten lassen: der/die Lehrer-in; der/die Arbeiter-in. Die Feminina als abgeleitete Formen existieren hier nicht unabhängig von den Maskulina, es besteht eindeutig ein Verhältnis der Voraussetzung – so wie es das Wort "Engländer" ohne England nicht gäbe. Wie so manche sprachliche Absurdität lässt sich auch diese historisch erklären. Das formal gesehen unökonomische und absurde System ist ökonomisch und sinnvoll genau dann, wenn die männliche Hälfte der Menschheit als Norm gilt und die weibliche Hälfte von der männlichen abhängig ist und auch so wahrgenommen wird.

Während weibliche Formen gewöhnlich durch Suffixe von den männlichen gebildet werden (Gott – Göttin, Schirmherr – Schirmherrin), gibt es den umgekehrten Fall für Nutztiere häufiger (Ente – Enterich usw.), für Menschen jedoch nur zweimal: Hexe – Hexer, Witwe – Witwer. Nicht einmal die so genannte Rückbildung wird akzeptiert: Aus "Kindergärtnerin" wird nicht "Kindergärtner", sondern "Erzieher". Aus "Krankenschwester" nicht "Krankenbruder", sondern "Krankenpfleger". Aus "Hebamme" nicht "männliche Hebamme", sondern "Geburtshelfer". Entsprechend werden die abgeleiteten Feminina auch von Frauen oft noch als zweitrangig empfunden, die Bezeichnung von Frauen mit einem Maskulinum wird hingegen als Aufwertung interpretiert: "Ich bin Ingenieur", formulieren besonders ostdeutsche Frauen. Bei aus Adjektiven und Partizipien abgeleiteten Personenbezeichnungen mit Differentialgenus (die/der Abgeordnete; die/der Jugendliche) ist die feminine Form nicht aus der maskulinen abgeleitet. Trotzdem bezeichnet "der Angestellte" sowohl den männlichen Angestellten als auch die Spezies der Angestellten. Theoretisch hätte für diese Neutralisierungsaufgabe auch das Femininum ausersehen werden können. Wenn "er" gleichwohl als neutraler empfunden wird als "sie", ist das nicht im Wesen der Grammatik begründet – die Ursachen liegen außerhalb.

Die Bezeichnung für den Mann wird stellvertretend für beide Geschlechter verwendet: die Bezeichnung für "das Wichtige" soll stellvertretend auch das "weniger Wichtige" einschließen. Aus einer weiblichen Gruppe machen die meisten Sprachen deshalb symbolisch eine Männergruppe, sobald ein einziger Mann hinzukommt. 99 Sängerinnen und ein Sänger sind auf Männerdeutsch "100 Sänger" [...] Durch den Gebrauch generischer Maskulina werden Frauen in der Sprache aber unsichtbar gemacht. [...] Die Dominanz des Maskulinums in der Grammatik führt sogar dazu, die Kongruenzregel (das Prädikatsnomen stimmt mit seinem Bezugswort überein) zu verletzen ("Die Uni ist der größte Arbeitgeber am Ort") oder zu Referenzproblemen ("Bei jedem ist die Schwangerschaft anders").

Was ist zu tun? Gerecht wäre nach all den Jahrhunderten des "Mitgemeintseins" mal eine Umkehrung: Wir sagen nur noch "Berlinerinnen" und versichern den Männern, sie seien selbstverständlich immer herzlich mitgemeint. "Die Nächste bitte" ist nicht länger als "der Nächste bitte". "Jede kommt mal dran" ist sogar noch kürzer als "jeder kommt mal dran", "die Witwe" schreibt sich schneller als "der Witwer". Der Vorzug dieses Verfahrens bestünde darin, dass die oft als schwerfällig und ästhetisch minderwertig kritisierten Doppelformen ("Lehrerinnen und Lehrer") nicht nötig werden [...]

Gesellschaftlich weniger riskant ist hingegen die sanfte Humanisierung der Sprache mit einem Bündel von Maßnahmen, abgekürzt als DNA: D wie Differenzierung oder Doppelform: "jede/r" N wie Neutralisierung ("Studierende") A wie Abstraktion ("Ministerium" statt wie früher "Der Minister", etc.)

Der Einwand von Journalistinnen, platzfressende Doppelformen schadeten dem Lesefluss, Abstraktion und Neutralisierung der Anschaulichkeit, ist nicht unberechtigt. Doch soll eine Sprache nicht nur bequem, sondern auch gerecht sein. Sollen die Frauen mit ins Boot, wird es halt etwas eng und unbequem, aber das ist kein Grund, sie hinauszuschubsen. Kann die DNA auch nicht durchgängig verwendet werden: Durch den Gebrauch weiblicher Bezeichnungen haben wir es selbst in der Hand, andere dazu zu bringen, an Frauen zu denken. Ganz einfach – und hocheffektiv. Viele finden diese Idee unwiderstehlich und haben, unterstützt durch zahllose Empfehlungen, Richtlinien und Erlasse, in den letzten 30 Jahren weltweit einen Sprachwandel in Gang gesetzt, der nicht mehr aufzuhalten ist. Das Maskulinum wird nie mehr das sein, was es mal war. [...]

infos-fuer-alle.de/niederlaendisch/weiblich.html (15. Feb. 2009)

Anmerkung 1: Der vollständige Text kann unter dem angegebenen Link nachgelesen werden.

Anmerkung 2: Eine andere Sichtweise vertritt Henryk M. Broder in dem Artikel "Das große I der Idiotie".