Was es bedeutet, eine Frau oder ein Mann zu sein, männlich oder weiblich zu sein, verändert sich mit dem historischen und gesellschaftlichen Kontext. Diese Veränderungen zeichnen sich einerseits auch immer in der Sprache ab, andererseits werden durch Interaktionen, und damit auch durch sprachliche Handlungen, die jeweiligen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit mitkonstruiert, z.B. indem sie bestätigt werden: „Buben sind halt wild.“ Es entsteht also eine Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Bedingungen und sprachlicher Darstellung.
Die Art und Weise, wie Sprache verwendet wird, trägt dazu bei, gesellschaftliche Einteilungen (Kategorien) zu bestätigen und zu verfestigen oder aufzubrechen und zu verändern. Wenn wir davon ausgehen, dass in der deutschen Gegenwartssprache noch immer ein androzentrischer = männerorientierter Blick vorherrscht, dann ist es notwendig, Frauen in der Sprache sichtbar zu machen.
Es geht dabei aber keineswegs immer nur um geschlechtergerechtes Formulieren, sondern auch um eine Perspektivenschärfung durch geschlechtersensibles Lesen und Schreiben mit dem Blick darauf, aus wessen Sicht formuliert wird, ob jemand übergangen wird, wer eine dominante Stimme in einem Text erhält, wer unterdrückt wird, was ausgespart oder verschleiert wird. Dabei ist auch die eigene Position, nämlich wie wir einen Text lesen, kritisch zu hinterfragen.
Die Beschäftigung mit Sprache unter dem Genderaspekt führt zu Fragen wie:
Wie unterschiedlich stellen verschiedene Sprachen Männlichkeit, Weiblichkeit oder andere Kategorien dar?
Sprache und Gender zu untersuchen, ist in allen Sprachen interessant. Die Detailergebnisse können allerdings nicht 1:1 von einer Sprache, z.B. von der englischen, auf eine andere Sprache, z.B. auf die deutsche oder die russische, übertragen werden.
Welche Unterschiede lassen sich zwischen der Standardsprache und den regionalen und sozial geschichteten Varietäten ausmachen?
Welches Rollenverhalten zeigt sich in der jeweils verwendeten Sprache? Welche Domänen (welche Sprache wird wofür verwendet), welche Hierarchien (wer spricht wie mit wem) fallen dabei als interessant auf? Wer spricht welche Sprache in welcher Situation und mit wem? Sprechen Schüler mit Lehrern anders als mit Lehrerinnen? Sprechen Schülerinnen mit Lehrerinnen anders als mit Lehrern? Und wie sprechen die jeweiligen Gruppen untereinander?
Wird ein bestimmtes rollensprachliches Verhalten erwartet? Gibt es Sanktionen für Abweichungen? Sind Frauen und Männer in der Öffentlichkeit in gleicher Weise sprachlich präsent? Treten sie in vergleichbarer Weise auf? Wird lautes oder leises Sprechen, Unterbrechen oder Ausredenlassen, Befehlen oder Kritisieren, Bitten oder Fordern je nach Geschlecht, Alter oder sozialer Stellung unterschiedlich bewertet?
Welchen Einfluss können die aktuellen Medienformate haben? In welcher Weise tragen diverse Medienformaten, wie z.B. E-Mail, SMS, Sprache in Schlagzeilen, Werbung, Soaps, Talkshows dazu bei, dass ein geschlechtergerechter Umgang mit Sprache gefördert oder gebremst wird?
Bedeutungswandel: Welche personenbezogenen Bezeichnungen haben in den letzten Jahrzehnten oder Jahrhunderten einen besonderen Bedeutungswandel durchlaufen? Sind Bezeichnungen für Frauen und Männer in gleichem Ausmaß davon betroffen? Welche Wörter haben heute einen größeren Bedeutungsumfang (Bedeutungserweiterung), welche einen klleineren Bedeutungsumfang (Bedeutungsverengung)? Welche Ausdrücke werden nur abwertend (pejorativ) gebraucht?
Welchen Einfluss nehmen politische Entscheidungsträger auf sprachliche Gleichbehandlung? Welche internationalen, welche europäischen, welche innerösterreichischen Maßnahmen gibt es? Was ist rechtlich verankert? Gibt es besonders fördernde oder hemmende Faktoren?
07.11.2009