Gender Studies und Literaturwissenschaften

Gender Studies, im Deutschen auch (seltener) unter der Bezeichnung „Frauen-, Männer- und Geschlechterstudien“ bekannt, haben sich aus den Women’s Studies der 1970er Jahre entwickelt. Diese wiederum sind ohne die politisch motivierte Frauenbewegung der 1960er Jahre undenkbar. Die Frauenbewegung forderte gesetzliche Lösungen für die Gleichstellung von Frauen, sie setzte sich beispielsweise für das Recht auf Abtreibung oder für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit ein. Einen wichtigen philosophischen Hintergrund für die Frauenbewegung lieferte Simone de Beauvoirs (1908–1986) Studie Das andere Geschlecht (1949; frz. Originaltitel: Le deuxième sexe) und die daraus oftmals zitierte Feststellung: „Als Frau wird man nicht geboren, zur Frau wird man gemacht“ (frz.: „On ne naît pas femme, on le devient“). Dieser Satz, der für feministischen Theorien, die sich aus der Frauenbewegung entwickelten, zentral wurde, drückt aus, dass nicht „biologische Tatsachen“ über die gesellschaftliche Rollenverteilung und über Geschlechteridentität entscheiden, sondern dass viele verschiedene kulturelle und soziale Prozesse dafür ausschlaggebend sind. Auf dieser Erkenntnis aufbauend entwickelten sich Ende der 1970er-Jahre die Gender Studies. Nach dem US-amerikanischen Sexualforscher John Money (1921-2006) in den 1950ern war es die amerikanische Anthropologin Gayle Rubin (*1949), die in ihrer 1975 erschienenen Studie Traffic in Women das sex-gender-System vertrat, also sex (das biologische Geschlecht) und gender (das sozial bedingte/erzeugte Geschlecht) voneinander unterschied. 15 Jahre später bezog sich die US-amerikanische Philosophin und Theoretikerin Judith Butler (*1956) auf Gayle Rubins sex-gender-System, welches sie weiterentwickelte: Im Gegensatz zu Rubin ist Butler der Ansicht, dass sowohl das biologische als auch das soziale Geschlecht kulturell konstruiert wird. Von zentraler Bedeutung für Butlers Argumentation ist dabei der Begriff des Performativen. Im Bereich der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Literatur, der Literaturwissenschaft, widmen sich die Gender Studies der Erforschung von Repräsentation und Performanz der Geschlechter und Geschlechterkonstruktionen in der Literatur. Gender Studies untersuchen und analysieren Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterbeziehungen. Sie fragen beispielsweise danach, wie Geschlecht/er in der Literatur abgebildet, dargestellt bzw. hergestellt werden. Gender Studies befassen sich mit allen Geschlechtern und ihrem Verhältnis zueinander.

Charakteristische Forschungsfragen/Publikationen im Rahmen der Frauenforschung / Feministischen Forschung:

Boa, Elizabeth: The sexual Circus: Wedekind’s theatre of subversion. Oxford: Blackwell 1987.
Bovenschen, Silvia: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen. 3. Aufl. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1984.
Hahn, Barbara: Unter falschem Namen. Von der schwierigen Autorschaft der Frauen. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1991.
Klüger, Ruth: Frauen lesen anders. Essays. München: dtv 1996.
Lehnert, Gertrud: Wenn Frauen Männerkleider tragen. Geschlecht und Maskerade in Literatur und Geschichte. München: dtv 1997.
Lenk, Elisabeth: Kritische Phantasie. Gesammelte Essays. München: Matthes & Seitz 1986.
Stephan, Inge/Regula Venske/Sigrid Weigel: Frauenliteratur ohne Tradition? 9 Autorinnenporträts. Frankfurt/Main: Fischer 1987.
Stephan, Inge: Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen Literaturwissenschaft. 2. Aufl. Berlin: Argument 1985.
Strobl, Ingrid: Frausein allein ist kein Programm. Freiburg/Breisgau: Kore 1989.

Charakteristische Forschungsfragen/Publikationen im Rahmen der Gender Studies:

Hassauer, Friederike (Hg.): Heißer Streit und kalte Ordnung. Epochen der „Querelle des femmes“ zwischen Mittelalter und Gegenwart. Göttingen: Wallstein 2008.
Hochreiter, Susanne: Frank Kafka: Raum und Geschlecht. Würzburg: Königshausen & Neumann 2007.
Stephan, Inge: Musen & Medusen. Mythos und Geschlecht in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Köln u.a.: Böhlau 1997
Weigel, Sigrid: Topographien der Geschlechter. Kulturgeschichtliche Studien zur Literatur. Reinbek: Rowohlt 1990.

Zum Weiterlesen:

Babka, Anna: Feministische Theorien. In: Einführung in die Literaturtheorie. Hg. v. Martin Sexl. Wien: WUV 2004, S. 191–223.
Beauvoir, Simone de: Das andere Geschlecht: Sitte und Sexus der Frau. Aus dem Franz. von Uli Aumüller u. Grete Osterwald. 10. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2009 (Le deuxième sexe. Paris 1949).
Braun, Christina von/Inge Stephan (Hg.): Genderstudies. Eine Einführung. Stuttgart: Metzler 2006.
Butler, Judith: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1991.
Gender. Themenheft der ide 3/2007. Hg. v. Stefan Krammer u. Andrea Moser-Pacher. Innsbruck: Studienverlag 2007.
Hof, Renate: Die Grammatik der Geschlechter. ‚Gender‘ als Analysekategorie der Literaturwissenschaft. Frankfurt/M. – New York 1995.
Schößler, Franziska: Einführung in die Gender Studies. Berlin: Akademie 2008.